nächtlichen Geländelauf
Auch er gehört zu den Besonderheiten der Off-Season, ist ein Luxus, den wir uns in der Vorbereitung auf ein Saison-Highlight wie einen Marathon nicht oft, wenn überhaupt leisten. Zu sehr stünde er im Widerspruch mit Trainingsplänen und sonstigen Vorgaben.
Einen wesentlicher Faktor beim Nachtlauf stellt die Ausrüstung, insbesondere die Kleidung dar. Nachdem mit großer Wahrscheinlichkeit ein nicht unbeträchtlicher Teil der Strecke auch über öffentliche Straßen beziehungsweise Gehsteige führen wird, ist gute Sichtbarkeit unumgänglich. Die von den Markenproduzenten ohnehin bereits eingearbeiteten Reflektoren an Hosen, Schuhen und Jacken stellen dabei das absolute Minimum dar, wirklich ausreichend sind sie nicht. Schließlich sind wir Läufer im Verkehr des Straßenwahnsinns nur ein kleiner Faktor, wir müssen gegen Autoscheinwerfer, Verkehrsschilder, Ampeln und Co antreten, die die Aufmerksamkeit von uns abzuziehen versuchen. Um dieses zu verhindern helfen Warnwesten, Leuchtbänder und Stirnlampen. Mögen sie auch uncool wirken, die Sicherheit und eine gute Heimkehr mit strahlenden Augen und Erzählungen von den besonderen Eindrücken im nächtlichen Wald geht schlicht und ergreifend vor.
Unser heutiger Lauf beginnt im Heurigenviertel Wiens, in Grinzing. Wir steigen aus der Straßenbahn 38 an deren Endstation aus und laufen langsam und locker in Richtung Himmelstrasse, die wir sobald überqueren. Gleich folgt nun die erste Herausforderung, in Form des Grinzinger Steiges. In 100 - 200 Metern überwindet der Grinzinger Steig ungefähr 30 Höhenmeter, wer hier durchlaufen kann verdient Respekt. Ebenso, wenn nicht noch mehr Respekt verdient freilich, wer nach Bergankunft noch weiterlaufen kann, denn sofort fällt die Strecke Richtung Schreiberweg leicht ab. Wir überqueren die unteren Schreiberweg und laufen über die Stiegen zu unserer eigentlichen heutigen Hauptstrecke, dem Wildgrubgasse.
War die Strecke bis hier durch Straßenlaternen gut ausgeleuchtet, so übernehmen ab jetzt die Stirnlampen. Noch zeigt der Lichtkegel eine schmale asphaltierte Strecke, welche erst an der Friedhofsmauer des Heiligenstädter Friedhofes vorbei führt, dann an den einladenden Schildern der Heurigen. Doch für den Läufer stellt weder das eine, noch das andere Angebot eine Alternative zum Abenteuer Nachtlauf dar. Weiter führt die schmale Straße am Fuße der Grinzinger Weinbaugebiete hinauf, bis wir zur Abzweigung Richtung Kahlenberg kommen, die wir aber rechts liegen lassen, führt sie doch ausschließlich über dem Strassenverkehr zugängliche Wege. Nach 2,1 Kilometern finden wir vor uns einen Schranken, der dem motorisierten Verkehr die Einfuhr in den Wald verhindert, uns betrifft er weniger, wir laufen rechts oder links vorbei und freuen uns über unsere Stirnlampen. Laub, möglicherweise auch Schnee bedeckt den Weg, die Wurzeln. Der Untergrund verlangsamt unseren Schritt, verlangt nach Aufmerksamkeit.
Die ganze Szenerie hat einen Hauch von „Blair-Witch-Projekt“, nichts für schwache Nerven. Im Schein unserer Lampen erscheinen Augen, Schatten werden lebendig und sind doch nur flüchtige Begleiter, die sich wieder verabschieden. Nach wenigen hundert Metern gelangen wir aus dem Wald auf eine kleine ansteigende Lichtung, hier gilt es, dosiert hinauf zu laufen, sie läutet die zweite Hälfte der Wildgrube ein. Den Blick gesenkt, freilich nur um den Weg bestmöglich auszuleuchten, bezwingen wir die kommenden Meter, besonderes Interesse gilt den großen Steinen, die bei übermütigem Schritt auch zu Verletzungen führen können. Gleich darauf betreten wir wieder den Wald, sind von einem Dach aus Zweigen umhüllt, unsere Lampen zeichnen ein spannendes Bild der Umgebung. Hinauf, hinauf führt derWeg weiterhin, bis wir unter der Höhenstrassenbrücke durchlaufen. Gleich ist der erste Anstieg gemeistert. Noch ein paar Meter, schon erreichen wir nach 3.5 KM die Sulzwiese am oberen Ende der Wildgrube. Von hier haben wir die verführerische Möglichkeit, in den 38A einzusteigen und entweder nach Grinzing oder nach Heiligenstadt zu fahren. Missachten wir die Verlockung des inneren Schweinehundes, so bietet der Weg nach einem kurzen weiteren Anstieg auf der unserer linken Hand zugewandten Seite noch ein weites läuferisches Betätigungsfeld. Folgen wir dem Weg, so führt uns die Strecke weiter bis zur Jägerwiese, bis zum Gasthaus zum Agnesbrünnl (KM 5 unserer Route), wo wir in weiterer Folge über den flachen Weg zu unserer rechten (Achtung, nicht den steilen Pfad hinunter nach Sievering, der ist bei Nacht zu gefährlich!) zum Cobenzl laufen.
Die Strecke, die sich im Tageslicht als ebener Wanderweg gespickt mit so manchem Mountainbiker darstellt, wirkt in der Nacht wie eine andere Welt, ein Sammelsurium von geheimnisvollen Eindrücken. Augen leuchten in der Dunkelheit, fremde Geräusche verwirren kurzfristig und sind doch nur jenen zuzuordnen, die den Wald bewohnen. Wir sind zu dieser Zeit nur seltene Gäste, die geduldet werden und staunen dürfen. Nach einer gefühlten Ewigkeit, in Wirklichkeit knapp über 1000 Metern erreichen wir die Kreuzeiche, einen Platz an dem sich mehrere Wege treffen, in dessen Mitte auch ein kleines Marterl steht. Hier müssen wir uns an den Wegschildern orientieren, doch fällt dies einfach. Unmittelbar gegenüber des Marterls führt der Hauptweg weiter Richtung Cobenzl, dem Ziel unseres nächtlichen Abenteuers. Einmal gilt es noch, vorsichtig im Schein der Lampen und des Mondes einen steilen, steinigen Weg zu überwinden, der nach 7,5 km uns hinunter zum Cobenzlparkplatz und den dortigen Heurigenbetrieben führt.
Nun haben wir die Strecke erlebt, sind eingetaucht in das Abenteuer Nachtlauf. Eine Strecke, die nicht aufgrund der Länge (knappe 7.5 Kilometer), sondern aufgrund der Eindrücke besticht und zu einem absoluten Highlight im Läuferleben werden kann. Noch einmal der wichtige Hinweis: gute, reflektierende Kleidung und eine starke vollgeladene Stirnlampe sind unabdingbar! Wir wünschen einen spannenden Lauf!
Ulrich Wanderer, Jurist, Mediator, Marathonläufer
Link: www.mediation-wanderer.at