MaxFun Sports Laufsport Magazin

Die Verzögerung der Zeit

12.05.2009, 12:00:00
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MaxFun.cc

Die Beine locker im Rhythmus des eigenen Blutstroms kreiseln zu lassen, die Landschaft inhalieren, was gibt es für eine schönere Alternative zum Laufsport.

Heute muss ich ausnahmsweise über das Radfahren schreiben, auch wenn es sich um eine Laufseite handelt, war doch die Geschichte und das Erlebte von letztem Samstag dermaßen unglaublich, beeindruckend und nachhaltig verändernd, dass es gar nicht anders geht. Wir Menschen leben in dem festen Glauben, dass Zeit und Raum existieren, untrennbar miteinander verbunden sind, dass auf jedes Vorher ein Nachher folgt, auf jede Aktion eine Reaktion.

Samstag Vormittag scheint die Sonne, die Vögel zwitschern, es ist recht warm, ein laues Lüftlein weht von Nordost daher. Das Rennrad ist schnell ausgepackt aus der Wohnung, oder ausgeparkt, wie Sie wollen, statt Laufen soll es Radeln sein. Die Beine locker im Rhythmus des eigenen Blutstroms kreiseln zu lassen, die Landschaft inhalieren, was gibt es für eine schönere Alternative zum Laufsport. Schon der berühmte zeitgenössische Philosoph Konrad P. Lissmann meinte dereinst, dass Radfahren die ideale Reisegeschwindigkeit sei, einerseits schneller als das Laufen, man kommt weiter herum, andrerseits langsamer als das Autofahren, man kann also mehr sehen – mit allen seinen Sinnen wohlgemerkt. Auch der beeindruckende Soziologe Prof. Girtler legt mehr oder weniger Sämtliches auf seinem Velo zurück.

Die ersten Kilometer vergehen schnell, es ist einfach nur schön, idyllisch, ich bin hochzufrieden. Plötzlich reißt man mich aus meinen Tagträumen, ein kleiner Vogel, ein Baby von einem Vogel, ein Babyvogel also, oder umgekehrt, ein Vogelbaby, will meinen Weg kreuzen, fliegend oder mehr flatternd wohlgemerkt. Das geht doch nicht, kleiner Piepmatz, ich werde dich gleich rammen, überfahren, dann bist du tot, und das in nicht mehr als vielleicht einer Zehntelsekunde. Der Kleine verschwindet schon unter meinem Vorderrad, das darf doch nicht wahr sein, ich kann überhaupt nicht reagieren, viel zu kurz die Zeitspanne des Erblickens des Winzlings bis jetzt. Jetzt, wo er gleich sein Ende gefunden haben wird. Wieso gerade ich, gerade heute?

Und dann passiert das Unglaubliche. Die Zeit steht still. Alles rundherum hört auf, sich zu bewegen, ist für einen Moment lang erstarrt, kein Auto fährt mehr, kein Radfahrer, kein Fußgänger bewegt sich, die Hunde, die eben noch zu meiner Linken herumgetollt sind, erstarren, die Wolken bewegen sich nicht, kein Wind, kein Lüftlein, nichts. Es ist still, ganz still, mein Rad bewegt sich nicht, ich bewege mich nicht, nichts, gar nichts mehr bewegt sich. Und es ist ruhig, so ruhig, dass man eine Stecknadel auf den Boden klirren hören könnte, doch auch eine Stecknadel würde sich in diesem Moment nicht bewegen.

Nur einer bewegt sich, der kleine Vogel. Er flattert genauso unbeholfen, mit unzähligen, viel zu vielen Flügel- oder Flatterschlägen weiter, einen oder vielleicht zwei Zentimeter unter dem völlig ruhigen Vorderrad, welches eben noch bedrohlich, lebensbedrohlich auf ihn zukam, hindurch Richtung Himmel, Richtung Freiheit, Richtung Leben.

An diesem Vormittag wurde mir bewusst, dass es noch etwas geben muss. Ich weiß zwar nicht, was, aber es muss etwas mit Gerechtigkeit zu tun haben. Irgendetwas wollte nicht, dass dieser kleine Babyvogel sterben sollte, viel zu früh. Als ich abends die Geschichte erzählte, waren die Reaktionen zweierlei; ein paar Menschen konnte ich ein zufriedenes Lächeln auf die Lippen zaubern, sie waren ebenso ergriffen und gleichzeitig unendlich beruhigt wie ich, die anderen lachten mich ungläubig aus. Aber lacht Ihr nur, irgendwann seht Ihr ihn auch, den kleinen Vogel.

Christian Kleber (MAS)

Link: woman.MaxFun.at

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