MaxFun Sports Laufsport Magazin
Es geht um Leben und Tod
25.01.2011, 12:00:00
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Warum machen sich gerade so viele Ausdauersportler Gedanken um das Sein, um Zeit, um Raum? Die Antwort liegt auf der Hand; erstens geht es beim Laufen, Rad fahren oder Schwimmen darum, eine gewisse Strecke in einer gewissen Zeit zurückzulegen. Bald kommt der laufende Vagabund dahinter, dass Zeit und Raum untrennbar miteinander verbunden sein müssen, eins sind. Zweitens hat man bei langen Grundlageneinheiten verdammt viel Zeit (und Raum…) zum Philosophieren; nicht umsonst waren oder sind große Philosophen meist Wanderer, Läufer oder Radfahrer, der immer wiederkehrende Rhythmus der fließenden Bewegungen kombiniert mit der fortschreitenden körperlichen Ermüdung, dem "Sich spüren" und "mit der Umwelt verschmelzen", all das lädt das Hirn ein zum Arbeiten; die ersten Gedanken an Beruf und Familie schwinden meist nach einiger Zeit, und man gibt sich der Frage nach dem Sinn hin. Und ist es anfangs noch die Frage nach dem Sinn der 3-Stunden-Einheit, warum man sich das überhaupt antut bei diesem Nieselwetter, dem Wind und der latenten Müdigkeit in den Knochen, so weicht auch dieser Gedanke alsbald einem generelleren, einem übergeordneteren. In der Philosophie gibt es keine Antworten, man fragt lediglich, wohlwissend, dass man zu keinem Ergebnis kommen wird. Ähnlich wie beim 3-Stunden-Lauf, der für sich allein gesehen nur eine von x-Vorbereitungen auf das große Ziel gewesen sein mag. "Das große Ziel" kann der 100. Marathon unter 3 Stunden sein oder aber der erste aus einer Reihe, die man sich noch gar nicht vorstellen kann, die man schlicht negiert, belächelt. Dreißig Jahre später belächelt man seine Gedanken bei diesem 3-Stunden-Lauf, der dann vor einer Ewigkeit stattgefunden haben muss. Warum aber ist es so faszinierend, über Leben und Tod zu grübeln, wenn man nach 2 Stunden völlig fertig dahintrabt, wissend, dass es noch lange nicht vorbei ist, das Laufen und - hoffentlich - das Leben. Weil irgendwann die Müdigkeit so groß wird, dass es gar keine anderen Gedanken mehr gibt. Denken Sie nur an Ihren ersten 24-h-Lauf, Ihren ersten Dreifach-Triathlon oder an Ihre allererste Trainingseinheit überhaupt, die vielleicht über 3 km geführt haben mag. Anfangs war ein Riesentrichter, aus dem eine Unzahl an Gedanken hervorzulugen wusste, man griff einen nach dem anderen auf, die Monotonie des Schrittes wurde dominanter, der Atem zum bestimmenden Taktgeber. Die Gedanken wurden weniger, weil man nicht mehr fähig war, zu viel zu denken, die Müdigkeit übermannte schließlich beinahe alles; durch des Trichters Loch passte am Schluss nur noch eine Idee, die des Sinns, und diese Idee führt zwangsläufig bei den meisten zu Leben und Tod. Und wenn man nach einer Unzahl an Stunden des Laufens wortwörtlich todmüde ist, wird einem auch immer mehr egal. Was kann einen in einem solchen Zustand noch erschüttern? Zahlreiche Extremsportler berichten hier von kurzen Momenten des Erkennens - des Erkennens der "Wahrheit". Reduziert auf sich selbst, vollkommen reduziert auf sich selbst, nimmt der eine oder andere die Dinge anders wahr. Die Zeit zieht sich exponentiell dermaßen in die Länge, nimmt das Aussehen eines durchsichtigen, nach oben gekrümmten Ballons an, wird sozusagen unendlich lang, und in dieser Blase der Illusionen spielt sich alles ab; gestern, heute, morgen. Und dennoch läuft man letztendlich durchs Ziel, geht sich duschen, isst eine Kleinigkeit, und bald, sofort, ist vergessen, was man eben noch geglaubt hat zu erleben. "Nie wieder" weicht neuen, noch verrückteren Plänen. Christian Kleber (MAS) Link: www.MaxFun.cc |