MaxFun Sports Laufsport Magazin
Über die Kunst des Müßiggangs
08.09.2009, 12:00:00
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Ich, der ich gewohnt bin, seit mehr als 30 Jahren regelmäßig zu trainieren, hatte bis vor gar nicht so langer Zeit, diese Aussage für völlig normal erachtet, mittlerweile hat sich dies aber ein wenig geändert, es wird mir zunehmend ein Anliegen, die Kunst des Müßiggangs zu erlernen und glauben Sie mir: Diese Fertigkeit ist um nichts leichter als ihr Gegenteil – die Kunst des täglichen sportlichen Bewegens. Nicht gering sind auch die Gefahren, die der Müßiggang mit sich bringt, darf es doch keinesfalls geschehen, dass man sich plötzlich in einem Zustand zwischen unzeitiger, lustloser Bewegung und grüblerischer, entmutigender Leere befindet. Zeitvertreiber wie Geselligkeit, Reisen oder leere Gespräche sind Versuche, die nicht dienlich sind und auch keinesfalls jene Form des produktiven Müßiggangs sein können, von der hier die Rede ist. Auf der Suche nach Vorbildern und Meistern des schöpferischen Faulenzens fielen mir deshalb wieder einmal die großen asiatischen Lehrer auf, die durch uralte Übungen in den scheinbar formlosen Zustand vegetativen Daseins und Nichtstuns einen gewissen gliedernden und adelnden Rhythmus gebracht haben. Voll dunkler Ahnung getrieben, begab ich mich daher vor meinen doch recht großen Bücherschrank, stellte mich davor und verfiel bald in eine Art meditativer Betrachtung ob der stillen Werke, die mich da ohne Worte ansprachen. Bald hatte ich das Gefühl, dass diese Bücher um mich buhlten, von mir gelesen werden wollten, mir zuflüsterten: „Lies mich! Nimm mich! Öffne mich!“ So rasch jedoch lies ich mich nicht verführen, sondern wartete lange bis ich eines von ihnen aus dem Regal nahm. Es war ein Buch, das mich schon vor Jahrzehnten gefesselt hatte, eines aus der Tradition jener Meister, das sofort in mir ein Gefühl von Vertrautheit und Ruhe hervorrief, ohne dass ich noch eine einzige Seite gelesen hatte. Mit ihm zog ich mich auf meine Couch zurück, schlug es auf, begann zu lesen und war im Nu in einer anderen Welt, in der es möglich wurde, alles andere zu vergessen. Ich las und las weiter bis ich zufrieden eingeschlafen war. Nach rund einer Stunde erwachte ich, wollte aufspringen, zu meinen Laufschuhen hetzen und wie von 1000 Bienen gestochen losrennen. Wie konnte so etwas geschehen: Lesen, schlafen, „Zeit vergeuden“? Doch schnell hatte ich mich gefasst, blieb mit größter Anstrengung auf meiner Couch, blinzelte in die Luft. Dann holte ich mir Essen und Trinken, nahm mein Buch und las weiter. Bis ich wieder eingeschlafen war. Später am frühen Abend plötzlich hatte ich auf einmal unbändige Lust zu laufen. Und dieser Lauf war einer der schönsten und leichtesten, seit langer Zeit. Seitdem übe ich das Nichtstun mit größter Anstrengung, plage mich ab, habe schlechtes Gewissen, permanent das Gefühl, ein böser nichtsnutziger Drückeberger zu sein, halte aber dennoch durch und pflege meine Übungen, wissend, dass danach eine Phase der Aktivität folgen wird, die nicht vergleichbar ist mit jenen, oft erzwungenen, anstrengenden Zuständen der Rastlosigkeit. Dr. Günter Heidinger Dr. Günter Heidinger |