MaxFun Sports Laufsport Magazin

Die drohende Hand

08.09.2009, 12:00:00
Foto:
RainerSturm/PIXELIO.de

Sport kann eine Verschiebung für Konflikte und Regungen der Triebe darstellen, die ansonsten zu neurotischer Symptombildung führen würden.

Menschen, die imstande sind, verdrängte Impulse durch gesellschaftliche anerkannte körperliche Betätigungen im Wettkampf abzureagieren, erscheinen weniger häufig als andere zur analytischen Behandlung und darin liegt wohl einer der echten therapeutischen Werte der Sportausübung. Dennoch kann aber eine solche Verschiebung auch unbefriedigend sein, nämlich dann, wenn sie nicht als ein Bestandteil des Lebens, sondern als das Leben selbst aufgefasst wird. Ein solches Problem haben meistens die Sieger und Vorbilder einer Sportart.

Für den professionellen Champion kann daher der Sport zum selbstvernichtenden Paradoxon werden. Zunächst geht alles gut. Er triumphiert öffentlich, erlebt einen Erfolg nach dem anderen, indem er eine Meisterschaft zeigt und dadurch gewisse Allmachphantasien befriedigt werden. Die Folge davon ist, dass ihn seine Tätigkeit immer ausschließlicher in Anspruch nimmt. Diese gemeinte Allmacht ist jedoch massiv gekoppelt an eine Furcht, diesen Erfolg und die Gunst des Publikums irgendwann verlieren zu können.Die „drohende Hand“ läuft also stets mit bzw. ist immer präsent.

Das Nachlassen der Körperkräfte, der Verlust der Gunst des Publikums und die unvermeidliche Minderung seines speziellen Könnens werden unbewusst assoziiert mit der schrecklichen Strafe, die den Sportler, wie er glaubte, in der Kindheit für Misserfolg erwartete, nämlich die Strafe der Eltern in Form von Kritik. Diese unbewusste Kindheitsangst geht auf die Furcht zurück, von den Eltern nicht mehr geliebt zu werden, wenn man nicht erfolgreich ist. Die Alternativen, die der Champion vor sich sieht, scheinen oft nur der Rücktritt zu sein, der allerdings Kapitulation und Unterwerfung symbolisiert. Aber nicht einmal der Rücktritt auf dem Gipfel des Erfolgs – ein im Übrigen sehr häufiges Phänomen – bedeutet notwendigerweise eine erfolgreiche Bewältigung dieser Konflikte.

Besonders im Augenblick der absoluten Meisterschaft also ist der Champion bzw. Könner seines Faches, der Sieger, der immer wieder am Treppchen steht der größten Ambivalenz ausgesetzt. Er spürt die drohende Hand, weiß nicht mehr, wer wirklich die Herrschaft über den Erfolg innehat. Wenn der Sportler aber die höchste Herrschaft erlangt hat und die drohende Hand bezwungen hat, bekommt er oft Angst vor seinen eigenen Fähigkeiten und es gibt nichts Furchterregenderes als die Verwirklichung der eigenen Angstphantasien. Deshalb kann der Champion durch den eigenen Erfolg vernichtet werden.

Nicht wenige kennen wir, die daran gescheitert sind, die sich durch diese Angst zu Dingen trieben ließen, die nicht nur schlecht für ihre geistige und körperliche Gesundheit waren, sondern auch mehr als illegal. Groß ist die Zahl an am Leben gescheiterten ehemaligen großen Sportchampions. Wie geht es jenen heute? Sind sie immer noch Champions geblieben? Wenigstens in ihrer Persönlichkeit? Haben sie den Sport als das genutzt, das er sein soll: als Schule für das Leben und Lebensweg? Wenn nicht, sollten sie sich vielleicht ein wenig mit Zen-Running beschäftigen.

Dr. Günter Heidinger

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