MaxFun Sports Laufsport Magazin

Jean-Jaques Rousseau

15.06.2008, 12:00:00
Foto:
© Mario Heinemann/PIXELIO

Im allgemeinen Bewusstsein ist von ihm nicht viel mehr übrig geblieben als ein einziger Satz, den er genau so eigentlich nie gesagt hat: „Zurück zur Natur!“ Dieser Satz enthält eine prinzipielle Ansicht vom Menschen, die bis heute in unterschiedlichen Varianten immer wieder anzutreffen ist.

Jean Jaques Rousseau hatte darüber hinaus auch das Kunststück zuwege gebracht, einer der großen Wegbereiter der Aufklärung und gleichzeitig auch einer ihrer größten Wegbereiter in einer Person zu sein. Für uns Sportphilosophen und Zen-Runner ist Rousseau vor allem wegen seines letzten Textes, „Den Träumereien eines einsamen Spaziergängers“ interessant.

Geboren wurde er im Juli 1712 in Genf. Nachdem seine Mutter bald nach der Geburt verstirbt und der Vater aufgrund eines Rechtsstreits das Kind zurück lässt, wächst er bei Verwandten auf bis er schließlich unter die Obhut einer um 13 Jahre älteren Frau gerät, mit der er später auch eine sexuelle Beziehung eingeht obwohl sie ihm so etwas wie ein Muttersatz gewesen sein dürfte. Seine bekanntesten Leistungen erbringt er interessanterweise auf dem Gebiet der Pädagogik obwohl er selber nur ein einiges Jahr als Erzieher tätig war und seine 5 Kinder allesamt ins staatliche Findelhaus gegeben hatte.

Lassen wir aber jetzt Rousseau, den wohl berühmtesten Spaziergänger (und dadurch vielleicht Urvater der Langsamläufer) selbst zu Wort kommen. Er war ja eigentlich passionierter Geher, der sich selbst als "nachdenklichen Einsiedler" und "ungeselligen Menschenfeind" bezeichnet hat. Sein Werk "Die Träumereien des einsamen Spaziergängers" beginnen mit den Worten: "So bin ich denn allein auf dieser Erde, habe keinen Bruder mehr, keinen Nächsten, keinen Freund, keine Gesellschaft außer mir selbst." Und wenig später heißt es: "Die Menschen würden sich mir vergeblich wieder zuwenden - sie fänden mich nicht mehr. Bei der Verachtung, die sie mir eingeflößt haben, wäre mir der Umgang mit ihnen fade und sogar lästig, und ich bin in meiner Einsamkeit hundertmal glücklicher, als ich es in ihrer Gesellschaft wäre. Sie haben alle Freuden des Zusammenseins aus meinem Herzen gerissen ...“ "... für den Rest meines Lebens muss und will ich mich nur noch mit mir abgeben, da ich in mir allen Trost, Hoffnung und Frieden finde.“

Und so widmet sich Rousseau auf seinen täglichen Spaziergängen Schritt für Schritt der Erforschung seiner selbst, will heißen der Bergung der “Schätze”, die er in sich trägt. Für ihn entpuppen sich die Stunden selbst gewählter Einsamkeit als Stunden glücklichster, ungetrübtester Reflexion. Gehen und Denken bilden ein ununterbrochenes Vertrauensverhältnis zueinander.

Diese sinnend vertrödelten Stunden, in denen die Körper- und die Geistesbewegung auf das wunderbarste harmonieren, sind für Rousseau die einzigen des Tages, da er ganz sich selbst gehört, ohne Ablenkung, ohne Hindernis. Stunden, in denen er so ist, wie die Natur ihn gewollt hat.

Apropos Natur! Sie ist ihm wahrlich mehr als nur Kulisse oder sich wandelnde Dekoration. Mit ihren süßen Düften, den lebhaften Farben und den zierlichen Formen ist sie ihm das einzige Schauspiel auf der Welt, das sein Auge und sein Herz nie ermüdet. Gleichzeitig fungiert sie als Muse, inspiriert ihn zu immer neuen Träumen, Gedanken und Themen. Ihr Zauber berauscht sein Gefühl, fesselt seinen Geist. Auf wunderbare Weise schärft sie seine Augen und seine Sinne. Da ist von "Wonnen", "Rausch", "Entzückungen" die Rede, vom Verschmelzen und von "lustvoller Trunkenheit". Selbsterfahrung in Ekstase, sozusagen. "Was genießt man in einem solchen Zustand?” fragt er und gibt sich selbst die Antwort: “Nichts, was außerhalb von uns ist, nichts außer uns selbst und unseres eigenen Daseins; solange dieser Zustand währt, ist man sich selbst genug, wie Gott.“

Während er einsam in der Natur umherstreift, sich auf Schritt und Tritt an seinem Ichgefühl berauscht, dabei befreit und beflügelt über sich und das Leben nachsinnt, befindet sich Rousseau also in schönsten Kontakt mit sich selbst. Mit dem Gesichtskreis seiner Augen erweitert sich der Gesichtskreis seiner Seele. Dass er sich hier und da bei seinen Betrachtungen in der Vergangenheit verliert und die Erinnerung, wie er es nennt,  “wiederkäut”, tut dem keinen Abbruch. Der Kontakt mit sich selbst, diese Kongruenz, sprich die absolute Übereinstimmung von dem, was er sein möchte und  dem, was er in diesen Momenten ist, entpuppt sich als Garant für Glück. In der Einsamkeit seiner täglichen Spaziergänge gelingt ihm das, was er als Genuß an sich selbst bezeichnet. Er erlebt seine wahre Identität und kostet sie nach Herzenslust aus. "...nur wenn ich allein bin”, sagt er, “gehöre ich ganz mir selbst, sonst bin ich der Spielball all derer, die um mich sind." Die Einsamkeit, dieser "glückliche Frieden", korrespondiert zudem mit einem Gefühl der Einzigartigkeit, dem Empfinden des Besonderen. Dieses Empfinden wiederum erlebt er als Glück. "...so lernte ich durch eigene Erfahrung, dass die Quelle des wahren Glückes in uns selbst ist und dass keine irdische Macht einen Menschen wahrhaft unglücklich zu machen vermag, der da weiß, dass er glücklich sein will."

Wenn das kein Philosoph für uns ist, liebe Zen-Runner! Nehmen wir seine Gedanken auf einen unserer nächsten Reflexionsläufe mit und lassen wir diese wirken!

Dr. G. Heidinger

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