MaxFun Sports Laufsport Magazin
Ausgelaufen?
27.12.2008, 12:00:00
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Sigrid Harig/PIXELIO |
Nur noch wenige Tage, ein oder zwei Läufe noch, vielleicht noch ein Silvesterlauf aber dann ist es endgültig und Geschichte geworden, dieses Jahr – wieder einmal ist es mir kürzer vorgekommen als die vergangenen. Während der letzten Trainingsläufe in der dunklen Wiener Hauptallee, nachdenkend über so manches, war es, als mich ein Gedanke zu beschäftigen begann: Wer über Jahre oder Jahrzehnte regelmäßig auf derselben Strecke laufend unterwegs ist, der begegnet auch immer wieder denselben Läufern. Nicht alle kennt man, nicht jeden merkt man sich, man grüßt auch nur den einen oder anderen. Aber bemerken tut man einander. Über die Jahre wird man einander, auch ohne jemals zusammen gesprochen zu haben, irgendwie vertraut, ist geradezu beruhigt, wenn man jemanden wiedersieht, an ihm oder ihr vorbeiläuft, fühlt sich auf eine unbestimmte Weise aufgehoben, zu Hause in einer diskreten Gemeinschaft. Hin und wieder jedoch geschieht es, dass jemand aus diesem vertrauten Kollektiv plötzlich nicht mehr da ist. Man läuft weiter, über eine bestimmte Zeit fällt es einem gar nicht auf, dann, wenn man es bemerkt hat, bedarf es oft noch gar keiner besonderen Erklärung. Vielleicht ist er oder sie ja auf Urlaub oder ein wenig krank, hat eine Laufpause eingelegt oder ist möglicherweise verzogen. Was aber, wenn derjenige nie mehr wieder gesehen wird? Fast überfällt mich da so etwas wie Angst! Ist ihm etwas geschehen, kann er nicht mehr laufen oder gibt es ihn überhaupt nicht mehr? Einige sind es, die mir in diesem Zusammenhang spontan eingefallen sind: Wo ist er, der Läufer mittleren Alters, dem ich jahrelang begegnet bin und der dann von Jahr zu Jahr, später von Monat zu Monat, von Woche zu Woche immer dünner und schwächer geworden ist, bis er zuletzt fast nicht mehr lief, sondern ging? Wo ist er, der so sympathische schon ältere Herr, aus dem Gemeindebau nahe dem Wiener Praterstadion, der stets etwas schief gelaufen ist, in den letzten Jahren seine Laufkilometer immer häufiger durch Gehen unterbrechen musste? Seinen Laufpartner sehe ich noch heute. Vielleicht sollte ich ihn fragen! Aber irgendwie habe ich Furcht vor der Antwort. Wo ist er, der den wahrscheinlich alle Läufer und Zuseher von Läufen kennen: Er, der jeden Atemzug beim Wettkampf, jeden zweiten oder dritten Schritt durch einen lauten – tatsächlich sehr lauten – Schrei unterstützt hat? Sein Intervalltraining war nicht zu überhören! Manchmal habe ich versucht, ihn nachzumachen, argwöhnend, dass er vielleicht ein geheimes Motivationskonzept entwickelt hatte. Und: Wo ist Stanislaus? Er, der zwar selber nicht läuft, es sicher auch gar nicht kann aber vermutlich fast jedem Läufer in Wien bekannt ist. Auf seinem uralten Fahrrad, immer in derselben Kleidung, mit seinem Jahr für Jahr dicker werdenden Bauch ist er ein Unikat. Wer schon einmal das meist fragwürdige „Glück“ hatte, dass er von Stanislaus mit seinem Fahrrad beim Laufen begleitet worden ist, wird sich wahrscheinlich hüten, dieses Erlebnis noch ein weiteres Mal heraufzubeschwören. Dennoch mag man ihn, ist an ihn gewöhnt. Er gehört dazu, auch weil er bei so manchem Lauf ein außergewöhnlicher Streckenposten war. Wo er wohnt weiß niemand. Einmal habe ich ihn abends aus einem Gebüsch kommen sehen! Ob das sein Zuhause ist? Es beunruhigt mich, dass ich ihn schon längere Zeit nicht gesehen habe! „Stanislaus! Wo bist du?“ Kannst mich auch Mal ein paar Kilometer mit deinem Fahrrad begleiten, wenn du möchtest, aber komm wieder!
Dr. Günter Heidinger |