Alles stimmt, sämtliche Trainingseinheiten sind perfekt verlaufen, die Wettkampfwoche war optimal und siegessicher steht man am Start
Irgendwann, so sollte man meinen, müsste ein Läufer doch alle möglichen Fehler, die es zu machen gibt, erledigt haben. Und irgendwann müssten diese Fehler auch ein zweites oder gar drittes mal geschafft sein. Spätestens dann aber ist der Tag gekommen, an dem sich alle diese Irrtümer lohnen und man den Marathon seines Lebens hinlegt. Alles stimmt, sämtliche Trainingseinheiten sind perfekt verlaufen, die Wettkampfwoche war optimal und siegessicher steht man am Start.
Getrunken habe ich diesmal ausreichend – auch in den Tagen vor dem Marathon – leider merke ich das aber besonders daran, dass ich trotz mehrmaligem WC-Besuch bereits nach wenigen Kilometern den Drang verspüre, einen Strauch am Wegrand zu bewässern. Vielleicht war es doch etwas zu viel Flüssigkeit und vermutlich hätte ich den Liter Wasser am Morgen doch nicht mehr in mich hineinschütten sollen?
Seltsam erscheint es mir auch, dass ich nach der ersten Kilometerkontrolle um mindestens 15 Sekunden unter der angepeilten Durchschnittskilometerzeit liege, bin ich doch heute ganz ganz bewusst langsam weggelaufen. Lediglich den Dicken vor mir wollte ich hinter mich bringen. Und auch der zweite Kilometer war immer noch zu schnell – aber vielleicht bin ich ja an diesem Tag besonders gut drauf?
Aus diesem Grund lasse ich auch die erste Verpflegung aus, es sind ohnehin viel zu viele Läufer im Weg und locker und leicht tänzle ich vorüber – ein wenig Überheblichkeit im Blick und voller Verachtung für die jetzt schon durstigen.
Auch den dritten, vierten und fünften Kilometer laufe ich etwas flotter als geplant, muss ich doch einen kleinen Vorsprung herausholen, um meinem Drang nachzugeben, der sich nicht beruhigen möchte – beim nächsten Marathon trinke ich doch wieder weniger.
Knapp vor der Hälfte der Distanz beginnen meine Beine etwas zu schmerzen. Ich verstehe es nicht. Diesmal habe ich zwar in der Vorbereitung mehr Kilometer gemacht aber auch die Intensitäten nicht vergessen. War es doch zu viel Umfang, zu viel Intensität? Oder zu wenig? Oder machen sich die ersten schnellen Kilometer jetzt schon bemerkbar?
Langsam sollte ich doch trinken und ein Stückchen Verpflegung aufnehmen aber irgendwie ist mir übel und der Gedanke an etwas Essbares lässt mich würgen. Ich versuche mein mitgeführtes Gel zu schlucken – diesmal habe ich nicht darauf vergessen – und spucke es gleich wieder aus. Was habe ich falsch gemacht? Im Training hat es gar nicht so übel geschmeckt.
Ich werde langsamer! Die an die Strecke bestellten persönlichen Betreuer, die ich für diesen Marathon extra organisiert habe, um mich im letzten Drittel noch zu motivieren, gehen mir auf die Nerven. Sie versuchen gute Stimmung zu machen aber ich werde bloß aggressiv. Sie wollen mich zum Essen und Trinken überreden, meinen es sei nicht mehr weit. Freilich freilich, es ist gar nicht mehr weit… aber ich habe einfach weder Lust noch Kraft noch Motivation. Gleich ist mir alles egal, ich setze mich an den Straßenrand und denke über meine Fehler nach:
Möglicherweise brauche ich doch noch einen 51ten Marathon?
Dr. Günter Heidinger
g.heidinger@maxfun.at
Dr. Günter Heidinger
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