MaxFun Sports Laufsport Magazin
Der Plan der Verführerin (Folge 7)
30.11.2004, 12:00:00
Foto:
MaxFun Sports |
Astronomisch berechnet ist die Sonne um 16:03 Uhr untergegangen. Realistisch betrachtet hat sie an diesem Nebeltag das Aufgehen unterlassen. Die Advent-Glühbirnen laufen der Sonne lichtstärkemäßig den Rang ab, erst abends wird es strahlend auf den Straßen. Doris läuft über die Gehsteige und Kanten, bremst sich vor Kreuzungen ein, kurvt um die Fußgänger herum. Leute auf dem Nachhauseweg, Aktentaschen, Schultaschen, Einkaufstaschen, Sporttaschen unterm Arm, Hunde an der Leine. „Renn’ net so, Blacky, du derschnaufst’ es wieder net!“ keucht einer seinem Vierbeiner hinterher. Der Hund watschelt, der Leinenhalter schnauft schwer, Doris atmet regelmäßig, aber richtig rund läuft es noch nicht. „Eine Stunde brauche ich bis zur Brücke und zurück“, rechnet sie. Nach drei hektischen Bürotagen ist das genau das Richtige. Laufen. „Eine Stunde brauche ich, dann bin ich wieder im Lot“, denkt die Werbetexterin. Eine Stunde ist lange, länger ist sie noch nie gelaufen. Aber für ihre bislang dreimonatige Joggingkarriere ist es nicht so wenig. In einer Stunde kann viel passieren. Zwei wichtige Kunden, die sie betreut, können sich in der Werbeagentur verabschieden, eines dieser allgegenwärtigen Ficus-Benjamin-Gewächse kann umstürzen und eine Sauerei anrichten, die Lehrerin kann anrufen und sich wegen provokanter Unachtsamkeit des 14jährigen Sohnes beschweren und ... na ja, man kann in einer Stunde auch zur Brücke und zurück laufen. Krooh, krooh. Jetzt, auf dem Fußweg, dem eigentlichen Beginn ihrer Laufstrecke angekommen, hört sie erstmals die Krähen, wie sie zu ihren Nachtbäumen fliegen. Krooh. Krooh. Thomas, der mit seinen 14 Jahren nun bevorzugt Tom genannt werden will, hat schweren Liebeskummer, das sieht man. Dem gehört jetzt seine Aufmerksamkeit, nicht dem Unterricht. „Was soll’s. Aber Markus merkt wieder einmal gar nichts“, denkt Doris. Zu heftig stößt der weiße Dampf aus den Lungen, etwas langsamer, etwas langsamer. Doris mag es, im Winter zu laufen, mit der eigenen Energie gegen die Kälte zu rennen, die einem nichts anhaben kann, so lange man sich bewegt. „Markus hat nicht einmal gemerkt, dass ich seit September laufe. Außer Wireless Solutions ist nichts mehr in seinem Kopf“, ärgert sie sich. Wie ein kleiner Junge mit seinen Bausteinen kommt er ihr manchmal vor. Alles um ihn vergisst er und geht davon aus, dass das auch normal ist. Abends ist er wie erschlagen, will sofort einschlafen, nur um nach einer Stunde wieder wach zu werden und sich im Bett zu wälzen. In der Früh war er immer schon abwesend. „Dein Gehirn ist offensichtlich permanent und wireless mit dem Bürocomputer in Verbindung“, hat sie ihm einmal gesagt, „und während des Frühstücks laufen im Hintergrund irgendwelche Berechnungen ab.“ Es hat ihn überrascht, aber lange Wirkung hat es nicht gezeigt. Irgendwie ist die Firewall seines Netzwerks zu hoch gewesen. Da, die Brücke. Wendepunkt. Der Weg ist gut beleuchtet. Die Lampen geben wie aufgefädelte Lichtpunkte den Weg vor. Eine Stunde laufen ist Doris noch nie leicht gefallen, auch nicht an guten Tagen, aber sie hat es mehrmals geschafft. Irgendwann nach 30 oder 40 Minuten werden die Schritte langsam schwerer, ohne ersichtlichen Grund. Man spürt den Magen, es zieht im Rücken, der Durst meldet sich. Aber wenn man weiter läuft, kann man es abschütteln, hat ihr jemand gesagt. Der Zusammenbruch von Peter war ein Schock, auch für Doris. Herzinfarkt, Intensivstation, Rehabilitation in Bad Gastein – es geht ihm wieder besser, aber es war so unerwartet, so nahe. Seither ist es mit Markus noch schwieriger, wenn er nicht klar kommt, igelt er sich ein. „Aber dass er mit dem Laufen begonnen hat, ist eine gute Sache“, lacht es in ihr auf. „Damit haben wir etwas gemeinsam.“ Die Schritte werden länger jetzt. Sie holt mit den Armen aus, atmet heftig, macht Tempo. Als hätte sie den genau für diesen Moment passenden Rhythmus gefunden, zieht sie durch die Nacht, schneller wahrscheinlich als je zuvor. Unglaublich, sie überholt zwei Läufer, deren reflektierende Jacken sie seit einiger Zeit vor sich gesehen hat. Gleich ist sie wieder am Ausgangspunkt. Puuuh. Ausatmen. Ausatmen. Ausatmen. Schnell nach Hause, in die Dusche. Phantastisch, wie das heute gelaufen ist! 58 Minuten. Und mit einem mal hat Doris ihren Plan. Sie sieht es vor sich: Markus wird laufen. Und sie wird laufen. Dieser Traum wird wahr. Ganz sicher. „Was hast du gemacht?“, fragt Markus überrascht, als er Doris dabei betrachtet, wie sie in ihrer Laufhose durch die Wohnung geht. „Laufen“, grinst Doris, zieht ihre Jacke aus und umarmt ihn. „Laufen, genauso wie du.“ Vorschau Am 7. Dezember: Shoppingspaß Doris du schaffst es |