MaxFun Sports Laufsport Magazin

Trainingsanalyse Marathon

23.11.2002, 12:00:00
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Was Sie schon immer über die Marathonläufer wissen wollten

Wir alle hören und lesen viel über das Training der Marathonläufer. Oft ist es gar nicht einfach zwischen Fakten und -Gschichterln- zu unterscheiden.

Wie trainieren nun tatsächlich -die- Marathonläufer?
Welche Faktoren sind tatsächlich wichtig?
Sind die großen oder die kleinen Läufer im Vorteil?
Welche Rolle spielen das Alter oder das Körpergewicht?

Im Zuge der Aktion -Ihr individueller 18-Wochentrainingsplan- vom Herbst 2000 liegen mittlerweile die detaillierten Daten von fast 600 Marathonläufern vor.
(Diese Aktion gibt es übrigens nach wie vor unter www.marathon.at)

Bei der Interpretation der Ergebnisse habe ich weiters die Erfahrungen von ca. 15.000 Leistungstests (v.a. Laufbandergometrien) einfließen lassen, die ich während der letzten Jahre durchgeführt habe. Das Datenmaterial, das damit zur Verfügung steht, wäre natürlich die ideale Basis für eine Diplomarbeit.
Dieser Beitrag stellt aber keine wissenschaftliche Abhandlung dar, sondern soll den Lesern interessante Informationen und praktisch umsetzbare Trainingstipps für neue persönliche Bestzeiten liefern.
Die Wissenschaftler unter den Lesern mögen deshalb bitte bei unwissenschaftlichen, subjektiv gefärbten Interpretationen Nachsicht walten lassen.

Für die Statistik-Freaks:
zur Berechung der Zusammenhänge habe ich im ersten Schritt die Korrelationskoeffizienten der interessanten Variablen wechselseitig berechnet und auf Signifikanz geprüft. Der Korrelationskoeffizient ist eine Maßzahl im Wertebereich von -1 bis +1, die das Ausmaß des Zusammenhangs angibt. 0 = gar kein Zusammenhang, +1 = direkt proportionaler, positiver Zusammenhang; -1 = direkt proportionaler, negativer Zusammenhang. Beispiel: die Beziehung -Größe zu Gewicht- ergibt für die Stichprobe einen Korrelationskoeffizienten von +0,71, d.h. es gibt (no na!) einen deutlich positiven Zusammenhang (je größer, umso schwerer). Der Korrelationskoeffizient zeigt aber nicht, ob sich die Variablen gegenseitig bedingen und es ist auch möglich, dass die Korrelationswerte durch dahinterstehende, andere Faktoren bestimmt werden. Weitere Auswertungsschritte waren dann Regressionsanalysen, Clusteranalysen, Diskriminanzanalysen (z.B. wie unterscheiden sich schnellere von langsameren Marathonäufern?) und Faktoranalysen (z.B. welche Faktoren beeinflussen am meisten die Marathonzeit?). Die angeführten Ergebnisse stellen nur einen kleinen der berechneten Zusammenhänge dar.

Die eigentliche Stichprobe umfasst 598 Marathonläufer aus sechs Ländern (Österreich, Deutschland, Schweiz, Italien, Belgien, Venezuela), davon 495 Männer (83%) und 103 Frauen (17%). Die Stichprobe ist vielleicht nicht ganz repräsentativ für alle Läufer, da wahrscheinlich eher jene Läufer einen Trainingsplan anfordern (und bezahlen), die sich überdurchschnittlich viel mit ihrem Training auseinandersetzen.

Das Alter reicht von 23 bis 76 Jahre, (Durchschnitt: 42,3 (Männer: 42,9, Frauen: 39,5)).
Damit liegen diese Läufer in einem durchaus vergleichbaren Alter wie die Teilnehmer bei diversen Marathonläufen. Die Bandbreite des Trainingsalters (wie lange die Läufer schon trainieren) reicht von 0 Jahren (= Anfänger) bis 48 Jahre.
Noch größer ist die Bandbreite der bisher absolvierten Marathonläufe, die von 0 bis 83 (!) Marathons reicht. Der Durchschnitt liegt bei 5,2 Marathons.

Welchen Einfluss hat der Körperbau auf die Marathonleistung?
In der Stichprobe beträgt die Körpergröße 155 bis 199cm und das Körpergewicht 44 bis 115kg.
Der durchschnittliche Marathonläufer ist 178,7cm groß und wiegt 75,1kg.
Dies ergibt einen Body Mass Index (BMI = Gewicht in kg/(Größe in m)2 ) von 23,49. Die Frauen messen im Schnitt 167,2cm und bringen 59,9kg auf die Waage, woraus sich ein BMI von 21,41 ergibt. Ohne eine exakte statistische Auswertung vorgenommen zu haben, bedeutet das, dass Marathonläufer nicht nur leichter sind als die Durchschnittsbevölkerung - was anzunehmen war - sondern auch etwas größer sind.
Der Body Mass Index liegt erwartungsgemäß deutlich unter dem Durchschnitt der Österreicher. Insgesamt zeigt sich, dass der BMI stark mit der Marathonleistung korreliert. Das Erreichen eines idealen Marathon-BMI (ca. 20 - 22 für Männer, 19 – 21 für Frauen) ist eine große Leistungsreserve für Läufer, die deutlich darüber liegen.
Interessant ist vielleicht die Tatsache, dass von den 40 Personen, die einen BMI unter 20 haben, 25 weiblich sind (63%). Da aber selbst die Gruppe der Frauen mit einem BMI unter 19 im Durchschnitt nicht schneller läuft als die Frauen mit einem BMI von 20 – 22, besteht kein Grund für ohnehin schon schlanke Läuferinnen noch weiter abzunehmen!
Der Anteil der Frauen mit Essstörungen bis hin zur Magersucht ist unter schnellen Langstreckenläuferinnen ohnehin schon viel zu hoch.

Nun aber zu den Leistungs- und Trainingsdaten.

Die Marathon-Bestzeiten der untersuchten Gruppe reichen von 2:26 bis 5:23, bzw. haben einige Läufer noch gar keinen Marathon gefinisht.
Die durchschnittliche Marathonbestzeit liegt bei 3:35 wobei die Zeit der Frauen (3:50) um 8% langsamer ist als die der Männer (3:33). Damit ist der Unterschied etwas geringer als der Unterschied zwischen den gültigen Weltbestzeiten von Männern und Frauen. Die angegebenen 10km Zeiten (-aktuell mögliche Zeit über 10km-) streut von 32 – 80 Minuten, wobei hier die durchschnittlichen Frauenzeiten (53:09) um mehr als 16% über den angegebenen 10er Zeiten der Männer (45:40) liegen.
Diese Auswertung zeigt zwei Dinge:
Erstens, beim Marathonlauf ist der Leistungs-Unterschied zwischen Männern und Frauen tatsächlich geringer als beim Lauf über 10km.
Zweitens haben die Männer exakt die gebräuchliche Umrechnungsformel: 10km Zeit x 4,67 = mögliche Marathonzeit bestätigt, während Frauen zumindest in der untersuchten Gruppe (immerhin 108 Läuferinnen) ihre 10km Zeit eigentlich nur mit 4,33 multiplizieren bräuchten! Da mit dieser Umrechnung dann aber z.B. mit 40 Minuten auf 10km eigentlich eine Marathonzeit von 2:53 möglich sein müsste, bin ich überzeugt, dass die befragten Frauen ihre 10km Leistungsfähigkeit schlicht und einfach unterschätzen!

Die Läufer geben an, dass sie zwischen 0 (Anfänger) und 20 Stunden pro Woche trainieren, im Durchschnitt sind es 5,48 (= 5:29) Stunden, aufgeteilt auf 4,24 Einheiten. Eine durchschnittliche Trainingseinheit dauert beim Marathonläufer also ca. 78 Minuten.
Trainieren nun bessere Läufer vor allem häufiger oder ist die durchschnittliche Dauer der einzelnen Einheiten auch länger?
Zur Beantwortung dieser Frage habe ich die Läufer in -bessere- und -schwächere- Läufer mit einer Marathonbestzeit von unter, bzw. über 3 Stunden geteilt.
Diese Auswertung zeigt, dass die Sub-3 Läufer keineswegs doppelt so viel trainieren wie die langsameren Läufer, sondern im Durchschnitt 7,3 statt 5,3 Stunden.

Vereinfacht ausgedrückt:
Marathonläufer mit einer Bestzeit unter 3 Stunden trainieren im Durchschnitt 1 Stunde pro Tag.
Die Trainingshäufigkeit ist gar nicht so unterschiedlich. Die -schnellen- Läufer trainieren durchschnittlich 5,2 mal pro Woche, die -schwächeren- laufen 4,1 mal.
Diejenigen, die die 3-Stunden Schallmauer schon durchbrochen haben, laufen aber jeweils etwas länger. Ihr durchschnittliches Training dauert nämlich 1:24, während die noch nicht so schnellen Läufer im Durchschnitt bereits nach 1:17 in die Dusche gehen.
Es zeigt sich auch, dass der Zusammenhang zwischen Trainingsstunden pro Woche und der Marathonbestzeit enger ist als zwischen der Anzahl der Trainingseinheiten pro Woche und der Marathonzeit. Im Ausdehnen der durchschnittlichen Dauer der einzelnen Einheiten liegt also bei vielen Läufern die am einfachsten zu nutzende (weil zeitökonomisch) Leistungsreserve.
Selbst die meisten Spitzenläufer, die eigentlich genug Zeit fürs Training hätten, trainieren deshalb auch meist nur einmal am Tag.
Wenn man bei der Analyse noch einen Schritt weitergeht, wird man feststellen, dass insbesondere jene Läufer, die in der Endphase eines Marathons regelmäßig -eingehen-, im Training durchschnittlich länger laufen sollten.

Wie ist das nun mit dem Puls?
Die Herzfrequenz lässt eine Beurteilung der momentanen Belastung des Herz-Kreislaufsystems zu. Das Herz-Kreislaufsystem ist neben dem Bereich Muskulatur/Energiebereitstellung die leistungsentscheidende Komponente beim Marathon. Eine Anpassungserscheinung an das Ausdauertraining ist die Vergrößerung des Schlagvolumens des Herzens und eine niedrigere Herzfrequenz in Ruhe. Nichtsportler haben meist einen Ruhepuls im Bereich von 70 - 80 Schlägen pro Minute. Die untersuchte Gruppe der Marathonläufer hat hingegen einen durchschnittlichen Ruhepuls von 53 (Männer: 52, Frauen: 58). Extremwerte von Läufern liegen bei 30 - 35, ohne dass irgendwelche pathologischen Ursachen vorliegen. Das -Sportherz- mit einer niedrigen Ruhe-Hf ist eine gesunde (weil ökonomische) Anpassung an das Ausdauertraining.
Wenn Sie sich als austrainierter Marathonläufer einmal einer Operation in Narkose unterziehen müssen, sollten Sie dem Arzt vorher von Ihrem Hobby erzählen. Erst vor kurzem wurde einem Freund von mir während einer an sich harmlosen Operation fast ein Herzschrittmacher eingesetzt, weil der Arzt bis dahin noch keinen herz-gesunden Patienten mit einem Puls von 31 während der Narkose erlebt hatte. Ein Anruf bei der Frau des Patienten -Mein Mann ist ein schneller Marathonläufer-, bewahrte diesen dann doch vor dem Schrittmacher.

Die Auswertung der nun vorliegenden Daten zeigt, dass zwischen dem Ruhepuls und der Marathonbestzeit die höchste Korrelation besteht. Wenn also der Ruhepuls (längerfristig) im Zuge des Trainings sinkt, können Sie davon ausgehen, dass Ihre Marathonleistung steigt.

Immer wieder zeigen sich Marathonläufer besorgt ob ihrer vermeintlichen zu hohen oder auch zu niedrigen maximalen Herzfrequenz (siehe Ratgeber-Rubrik). Die befragten Marathonläufer haben im Durchschnitt eine maximale Herzfrequenz zwischen (angeblich) 130 und 214 bei einem Durchschnitt von 181 (Männer 181, Frauen: 180). Eine gängige Faustregel zum Schätzen der maximalen Herzfrequenz lautet: 220 - Lebensalter. Die vorliegenden Daten können diese Regel im Durchschnitt recht gut bestätigen, da sich empirisch ein Wert von 223,4 - Alter ergibt. Die Bandbreite der Abweichungen reicht allerdings von von -35 bis +31, weshalb das Festlegen von Trainingsbereichen nach diversen Faustregeln nicht selten vollkommen unpassende Ergebnisse liefern kann.

Die Berechnung der Korrelation zwischen zwischen der maximalen Herzfrequenz und der Marathonbestzeit ergibt, dass dabei kein signifikanter Zusammenhang besteht.
Das bedeutet, dass es keinewegs so ist, dass bessere Läufer eine niedrigere maximale Herzfrequenz haben. Ein großer Teil der Läufer hat mit einem Leistungstest unter anderem die Herzfrequenz an der anaeroben Schwelle (üblicherweise bei 4 mmol/l Laktatkonzentration) und an der aeroben (= 2 mmol/l) Schwelle bestimmen lassen. Dabei zeigte sich: die anaerobe Schwelle wird im Durchschnitt bei einer Herzfrequenz von 167 erreicht (Männer: 167, Frauen: 171), wobei die Bandbreite auch hier von 134 – 193 reicht. Bei der aeroben Schwelle liegt der Durchschnitt bei 150 (Männer: 149, Frauen: 154) mit einer Bandbreite von 114 – 178. Die anaerobe Schwelle wird damit im Durchschnitt bei knapp 93% der maximalen Herzfrequenz erreicht, die aerobe Schwelle bei knapp 83% der maximalen Herzfrequenz. Für die -fatburner- ist diese Zahl interessant, da die aerobe Schwelle auch oft als eine Art -Fettstoffwechselobergrenze- bezeichnet wird. Aber Vorsicht: bei weniger gut trainierten Ausdauersportlern liegen diese Prozentzahlen mitunter deutlich niedriger. Selbst wenn auch das Training der Abnehmwilligen eine große Bandbreite an Intensitäten abdecken sollte, so muss der Großteil des Trainings (genauso wie beim Spitzenläufer) in Form von ruhigen, längeren Dauerläufen absolviert werden.

Einen naturgemäß großen Einfluss hat die Marathonerfahrung (wie viele Marathons schon gelaufen) auf die Bestzeit. Da insgesamt der Zusammenhang zwischen Alter und Bestzeit viel geringer ist, können all jene Läufer ermutigt werden, die es immer und immer wieder versuchen und konsequent über die Jahre ihr Training weiterführen!

Mag. Wilhelm Lilge
Der Autor ist Trainer und sportlicher Leiter des LCC-Wien.
- Website Lcc-Wien = www.lcc-wien.at

Mag. W. Lilge

Link: www.lcc-wien.at

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