MaxFun Sports Laufsport Magazin
Einzigartiges Wissen
08.10.2009, 12:00:00
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Lizzy Tewordt/PIXELIO |
Deshalb beschloss er, nicht mehr in der Ebene zu laufen, sondern die Treppen von Häusern hochzulaufen. Zu seinem Bedauern musste er aber feststellen, dass auch das schon viele andere taten. Sein Bedürfnis, etwas zu tun, was niemand tat, stieg täglich und steigerte sich dahingehend, dass er mittlerweile nicht nur etwas tun wollte, was keiner tat, sondern auch etwas wissen wollte, was niemand sonst auf der Welt wusste und vor allem was auch niemand in irgendeinem Buch oder sonstwo nachschlagen konnte. Aus dieser Bedürfniskombination entstand seine ganz besondere Idee. Beim nächsten Lauf über die Treppen eines sehr hohen Hauses seiner Stadt, zählte er die Anzahl der Stufen und merkte sich diese. Erstaunlicherweise durfte er feststellen, dass er sich die Zahl auch am nächsten Tag noch gemerkt hatte. So fuhr er fort im Treppenzählen, lief von Haus zu Haus und zählte die Treppenstufen und merkte sie sich. Sehr bald wusste er jetzt Zahlen, die in keinem Buch der Welt standen und die auch niemand anderer außer ihm wusste. Freilich gab es den einen oder anderen, der schon einmal die Treppen seines oder eines anderen Hauses gezählt hatte aber niemand war zu finden, der mehrere oder gar unzählig viele solcher Zahlen wusste. Als er aber die Anzahl der Treppenstufen in der ganzen Stadt, in der er wohnte kannte, hatte er noch immer nicht genug. Er ging auf den Bahnhof, kaufte sich eine Fahrkarte und stieg in einen Zug, um in eine andere Stadt zu fahren, mit dem Vorhaben, auch dort die Stufen zu zählen. Aber auch das war ihm nicht genug. Als er auch diese Zahlen kannte, kam er auf das wahnwitzige Vorhaben, die Treppen auf der ganzen Welt zu zählen, um endlich etwas zu tun und zu wissen, was niemand weiß und was auch kein Mensch in irgendeinem Buch nachschlagen kann. Ob aus diesem Läufer ein Zen-Meister geworden ist, wissen wir nicht, da müsste er zumindest mit dem Zählen aufgehört haben. Ob die Geschichte wahr ist, auch nicht. Fest steht aber, dass dieser Mann, selbst wenn er die Stufen der ganzen Welt gezählt hätte, noch immer nicht erlöst geworden wäre. Wissen in diesem Sinne erlöst nicht. Deshalb bleiben wir besser bei unserem Laufen und hüten wir uns davor, vielleicht die Schritte oder die Atemzüge zu zählen. Ansonsten könnten wir derselben Täuschung erliegen wie unser Stiegenläufer und uns dazu noch eine Neurose vom Feinsten einhandeln. Dr. Günter Heidinger |