Herbstläufe

Vorbei ist er, der Sommer, scheinbar. Laut Kalender dauert er zwar noch ein wenig an, aber die allgemeine Stimmung da..

.. „draußen“ deutet schon länger darauf hin, die Sonne ist zwar, wenn sie scheint, noch recht heiß, aber wer seit Jahren oder Jahrzehnten läuft oder radelt oder beides, immer, der merkt es schon länger; irgendwie kam mir heuer vor, hat es früher eingesetzt, dieses Gefühl, die Luft auf der Haut war kälter, die in Mund und Nase auch, die Sonneneinstrahlung schräger, die Blätter der Bäume zwar noch nicht verfärbt, aber sicher keine Sommerblätter mehr. Angeblich wandern die Pole, damit also auch das Magnetfeld, vielleicht hat es damit etwas zu tun. Der Sommer hat ja auch irgendwie früher begonnen, mit unglaublich heißem Wetter, das aber recht bald wieder weg war, anders eben.  

Die Schule beginnt, die Kinder rasen aufgeregt zu selbiger, zumindest die, die noch rasen können und nicht zu den mittlerweile 30% der adipösen, also krankhaft übergewichtigen, Kindern zählen, die haben höchstens Herzrasen, die armen. Maßlos überfüttert von Eltern, Tanten und irgendwann natürlich auch von sich selbst. Die Wirtschaft erkennt und bewirbt noch buntere und fettere Süßigkeiten, Soft-Drinks und Computerspiele. Weiter so.  

Der Verkehr in der Stadt nimmt zu, diejenigen, die sich immer noch zu den stolzen Autobesitzern zählen, finden keine Parkplätze mehr, die, die öffentlich unterwegs sind, quetschen sich in U- und Straßenbahnen, bis diese beinah bersten, die, die mit dem Rad zur Arbeit fahren, haben wieder mit Blessuren aufgrund zahlreicher sich öffnender Autotüren zu rechnen.

Der Wind bläst noch stärker als in den letzten Jahren, früher hätte man Drachen steigen lassen, heute funktioniert das fast nur noch in der fiktiven Welt der Computer. So mancher denkt an Selbstmord, so mancher praktiziert ihn auch.  

Jaja, der Herbst, für mich die schönste Jahreszeit, nicht zuletzt wegen der lieblichen Wettläufe, die jetzt noch anstehen vor dem Winter, der sicher wieder unbarmherzig kalt werden wird, mit Öfen und Fäustlingen und Katzen, die sich auf den Kacheln wärmen, aber das ist eine andere Geschichte.  

Ich denke an den Höhenstraßenlauf, der mit seinem Kopfsteinpflaster und den bunten Blätterfarben, dem Wind und dem unvergleichlichen Geruch der Kastanienbäume aus dem entfernten Prater eine feste Größe an Herbstläufen im Raum Vindobona darstellt. An den Kampf hinauf aufs Hameau und wieder hinunter nach Hernals, wo im Ziel die große politische Partei zu Liptauerbroten und Cola lädt, oder auch an die Bezirksläufe, wo dieselbe oder ähnliche Parteien ganze Konvois von Polizeifahrzeugen schicken, damit Gürtel oder Ring stundenlang gesperrt sein können, Läuferinnen und Läufer ungestört ihren Hobbies frönen können. An Startnummern, die noch vom letzten durchgeführten Skirennen am Stuhleck herrühren, also von 1983, an stolze Bezirksvorsteher, die kurze, 30-minütige Reden schwingen, an Anrainer, die beim Frühschoppen beinah an ihren Leberkäsesemmerln ersticken ob der Horde wildgewordener Herbstläufer.  

Ich denke an Anmeldungen und Ergebnislisten aus Papier, an Funktionäre, die unabsichtlich zwei Liter Kaffee über die Formulare gießen, sodass sich zehn Läufer noch einmal schriftlich verewigen müssen, an Siegerehrungen mit Tombolas, bei denen man Kapperln und Kugelschreiber gewinnen kann, ich aber Sportsmann genug war, um auslaufen zu gehen. Jaja, die Herbstläufe…

Christian Kleber (MAS)

Link: woman.MaxFun.at