MaxFun Sports Laufsport Magazin
Großes Herz (Folge 17)
22.02.2005, 12:00:00
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FOLGE 17 Das Wetter war wieder einmal zum Kragen aufstellen, als es an der Tür läutete. Markus döste vor sich hin, nach sechs Tagen Trainingspause wegen einer Verkühlung hatte er heute mit weichen Knien den ersten kurzen Lauf gewagt. Immerhin. Aber der Gedanke an den Marathon bereitete ihm derzeit eher Sorgen als Wohlgefühl. Kann sich das alles wirklich ausgehen? Vor der Wohnung wartend klopfte sich Peter den Schnee von der Jacke ab. Die Tür ging auf. Markus in T-Shirt und bequemer Hose, Peter in voller Wintermontur. Blicke. Die Nervenübertragung vom Auge zum Gehirn dauerte mehrere Atemzüge lang. Peter: „Na?“ Markus: „Ääh... –?“ Peter: „Wie geht’s dem Patienten? Doris hat mir gesagt, dass du etwas krank warst.“ Markus: „Was heißt hier Patient? Peter, komm rein! Du bist ja nicht wieder zu erkennen.“ Peter: „Na ja, zwangsweise verändert sich das Leben.“ Die beiden schütteln sich die Hände. Peter, der alte Freund, der massige Mann, der genaue, oft ungeduldige Kollege am benachbarten Computerschirm im Büro, sein Händedruck war etwas weniger kraftvoll, als Markus es von ihm gewöhnt war. Seine Augen bewegten sich ruhiger, nicht so sprunghaft wie früher im Besprechungsraum. Seine Wangen waren schmäler geworden, seit er ihn zuletzt gesehen hat. Das war im November, nach der Rückkehr aus New York, wo ihm die Präsentation der Wireless Solutions tagelang Unmengen Adrenalin durch den Körper gespült hatte. Zu Hause in Wien führte Peter währenddessen einen Kampf, der wirklich ernst war. Es begann mit Übelkeit und Schweißausbrüchen nach dem Frühstück, als er mit seinem Sohn einen Streit hatte. Im Büro klapperte er mit Schwindelgefühlen einige Zeit lang auf der Tastatur herum, dann ein heftiger Schmerz in der Brust, der bis in die Schulter und den Unterkiefer fuhr. Die Körpersysteme kippten. Wenige Minuten danach wollte er sich noch eine Zigarette anzünden, aber da war der Notarzt schon unterwegs. Auf der Intensivstation konnte er sich an Gespräche mit seiner Frau und einem jungen Arzt erinnern, Markus und Doris hatte er bei ihrem Besuch verschlafen. Dieses Bild stand Markus noch im Kopf: Angeschlossen an Apparate und Monitore lag der füllige Peter regungslos da, in einem Bett, das nicht sein eigenes war. Peter zieht sich Jacke und Schuhe aus, bemerkt die nassen Nikes im Vorraum. „Du warst heute schon draußen - bei diesem Wetter?“, fragte er erstaunt. „Ja, zum laufen. Ich laufe jetzt. Seit – äh November. Das heißt: Wir laufen. Doris ist sehr aktiv.“ Markus wurde plötzlich bewusst, dass der Anstoßgeber für seine sportliche Betätigung unmittelbar vor ihm stand. „Laufen? Das mach ich jetzt auch. Es ist mehr ein schnelles Gehen, aber ein bisschen laufen geht schon, wenn es die Herzfrequenz erlaubt.“ Jahrelang waren Peter und Markus viele ihrer Wege gemeinsam gegangen, sein Zusammenbruch im November schien Markus damals ein Signal dafür, was ihm bevorstehen könnte. Peter erzählte von den vergangenen Monaten, von einem Verschluss der rechten Koronararterie, Cholesterin 330, Intensivstation, Blutverdünnung, Herzultraschall-Untersuchungen, vier Wochen Rehabilitation in Bad Gastein, dass er anfangs alles nicht so ernst genommen habe. „Schnell, schnell die Rehab-Sache hinter mich bringen und dann ab nach Hause und wieder in die Arbeit, so dachte ich. Ich hätte mühelos elf Stunden durchschlafen können, aber beim ersten Spazieren am Gang überfiel mich die Atemnot. Da wusste ich, dass es nicht mehr so einfach wie vorher weitergehen konnte. Ich war gewohnt, alles sofort selbst in die Hand zu nehmen, aber jetzt schreibt mir mein Herz vor, was zu tun ist. Wie sollte das weitergehen? Ich mit meinen 47 Jahren, nicht mehr einsatzfähig, betreut und bemitleidet, soll ich im Schongang die Zeit vergehen lassen? Am Vormittag spazieren, am Nachmittag das Fernsehprogramm auswendig lernen und das wars? Zum Glück haben sich Wege gefunden, die ich nicht gesehen hätte. Ich mache Bewegung, so wie sie mein Arzt mir empfiehlt, ich achte darauf, was ich esse, und ich übe täglich, mir selbst und allen anderen mehr Zeit zu lassen. Anfangs habe ich nicht glauben können, dass zwei Stockwerke zu Fuß zu viel für mich sein soll. Jetzt kann ich eine halbe Stunde lang durchlaufen. Ich habe sogar Leute kennen gelernt, die laufen nach einem Herzinfarkt einen Marathon. Daran denke ich, nicht heuer, nicht nächstes Jahr, ich muss mir eben Zeit lassen.“ Markus hörte ihm zu, wie ein Patient seinem Arzt, obwohl die Rollenverteilung doch umgekehrt war: Peter der Schwache, Markus der Starke. Peter stand unterdessen auf, ging zur Balkontür und blickte nach draußen: „Hey, wo sind die Aschenbecher? Hier waren doch immer Berge von Asche und Zigarettenstummel!“ Markus war amüsiert: „Na ja, ich hab mit dem Laufen begonnen und mit dem Rauchen aufgehört.“ Peter erstaunt: „Einfach so?“ „Einfach war’s nicht, zweimal hab ich seither eine geraucht, und ganz aus dem Kopf bringe ich die Sache immer noch nicht, aber es ist jetzt keine Überwindung mehr.“ Peter: „Willkommen im Club der Nichtraucher! Das war einer der ersten Sätze, die ich im Krankenhaus gehört habe. Seither bleibe ich dabei.“ Beide haben ihr Leben geändert. Peter aus Zwang, Markus, weil er Angst hatte, es könnte ihm ebenso ergehen wie seinem Freund. „Weißt du schon, dass Doris und ich im Mai den Marathon laufen werden?“ „Spitze! Das ist großartig!“ Peter gratulierte ihm, als würde er einen Freund zur Hochzeit beglückwünschen. „Alles Gute, das wird bestimmt eine tolle Sache. Du musst mir unbedingt erzählen, wie es euch geht dabei.“ „Bei Doris läuft es gut, ich bin im Moment etwas außer Tritt. Hoffentlich kann ich das noch aufholen. Länger als 1 Stunde 20 Minuten bin ich bisher noch nie gelaufen.“ „Freu dich, dass du 1 Stunde 20 Minuten laufen kannst“, kehrte Peter seine neue Gelassenheit hervor. „Ich habe am Anfang 20 Meter weit gehen können und musste mich danach ausruhen. Würde ich mir denken, ich muss etwas aufholen, wäre ich längst wahnsinnig. ‚Sie müssen sich Zeit lassen’, hat der Arzt zu mir gesagt. ‚Sie brauchen jetzt ein großes Herz, sonst frisst sie der Stress auf, den Sie sich machen.’ Daher freue mich über jeden Fortschritt, über 30 Minuten und das gute Gefühl, das ich dabei habe.“ Ein großes Herz – das erschien Markus wie eine neue Methode für das Lauftraining. Wie schwer war ihm vor ein paar Monaten der Anfang gefallen! Und jetzt freut er sich bereits auf den nächsten Lauf, wenn er einmal eine Woche dazu nicht in der Lage war. Das ist der größte Fortschritt, den er erreicht hat, ein größerer Fortschritt, als die Leistungssteigerung, die ihm seit dem ersten Lauf gelungen ist. Mit einem großen Herz, das sich nicht verrückt machen lässt, wenn etwas nicht nach Wunsch verläuft, wird er es auch zum Marathon schaffen, dessen ist sich Markus jetzt ganz sicher. „Ab März komme ich wieder ins Büro“, kündigte Peter beim Abschied an. „Für 30 Stunden die Woche.“ „Das freut mich sehr“, war Markus guter Dinge. „Das freut mich wirklich sehr.“ Fortsetzung folgt ... Der Bericht wurde vom Veranstalter selbst im Eventmanager von MaxFun.cc eingetragen Doris du schaffst es |